Gib Gas, ich will Spaß! Die Psychologie des Rasens.

Shownotes

Wenn das Auto zum Heiligtum und zur tödlichen Waffe wird: Was treibt Roadrunners zu ihren gefährlichen Tempoexzessen an? Warum sind Straßenrennen auch in Österreich zu einem verhängnisvollen Hobby geworden? Sind es nur junge Männer, die sich ihren Kick beim Kickdown des Gaspedals holen? Wie wird Schnellfahren zur Sucht? Warum ist die menschliche Angst vor Geschwindigkeit nicht so groß wie die Angst vor der Höhe? KFV-Psychologin Raffaela Neustifter beleuchtet im Talk mit Sabine und Christian die dunklen Ab- und Hintergründe einer fatalen Leidenschaft und mögliche Maßnahmen zur Entschleunigung mörderischer Egotrips im Straßenverkehr.

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00:00:00: „Also ich fahre schon sehr gern schnell“„Ich hab jede Situation fest im Griff“„Die anderen machen vielleicht Fehler, ich bei meiner Fahrerfahrung sicherlich nicht“„Am Samstag in der Nacht treffen wir uns wieder alle okay? Weil der Kick, das Freiheits Feeling das ist einfach unbeschreiblich“„Das Auto ist mein Leben“

Sabine Kaulich: Das eben waren Aussagen, die wir immer wieder zu hören bekommen von Menschen, die mir ihrem Leichtsinn, mit ihrer Unbedachtheit und ihrer Ignoranz auf dem „Highway to Hell“ unterwegs sind und dabei zu Gefahren für andere Verkehrsteilnehmer werden. Wer sind diese Menschen? Wie ticken sie? Was treibt dieses tickenden Zeitbombe zu ihren Tempoexzessen an? Ist es der Adrenalinkick? Die soziale Anerkennung? Das Abenteuer? Warum ist das Auto für viele Menschen ein Heiligtum und wird dabei zu oft zu einer Waffe? Willkommen bei einem Podcast zur Psychologie des Rasens mein Name ist Sabine Kaulich.

Christian Kräutler: Und mein Name ist Christian Kräutler hallo! Wir knüpfen heute an das Thema unseres letzten Podcasts an, nämlich der Geschwindigkeit als Hauptunfallsursache Nummer eins. Und heute beleuchten wir ein bisschen einen anderen Faktor zum Thema Geschwindigkeit, nämlich den Faktor Mensch. Warum eigentlich werden wir Menschen zu schnellfahrenden oder vielleicht sogar zu notorischen Rasern? Gibt es eigentlich sowas wie den klassischen Rasertypen? Gibt es eine Raserpersönlichkeit überhaupt? Wie kann man mit extremen Tempoexzessen rücksichtsloser Lenker umgehen und wo muss nachhaltige Prävention in Wirklichkeit ansetzen? Um nämlich all diese Fragen zu beantworten ist heute eine kompetente Psychologin bei uns zu Gast: Mag. Raffaela Neustifter vom KFV Fachbereich Verkehrssicherheit. Ich kann eines versprechen: Es wird rasend und es wird rasend interessant.

Catharina Ballan: Sicher ist sicher der Vordenker*innen Podcast des KFV. Episode 19: Gib Gas, ich will Spaß. Die Psychologie des Rasens.

Sabine Kaulich: Liebe Raffaela, schön, dass du heute da bist herzlich Willkommen!

Raffaela Neustifter: Hallo Sabine, Hallo Christian, Danke für die Einladung ins Studio.

Christian Kräutler: Liebe Raffaela, du hast uns heute ja spannende psychologische Fakten zum Thema Schnellfahren mitgebracht. Was treibt denn Raser und Raserinnen überhaupt an? Ist denen eigentlich bewusst, was ihr Verhalten so auslösen kann? Oder muss man ganz einfach sagen: Denn die wissen eigentlich nicht, was sie tun.

Raffaela Neustifter: Raser und Raserinnen blenden die Risiken ihres exzessiven Fahrverhaltens meistens einfach aus, Sie spielen die Gefahren und die möglichen fatalen Folgen von ihrem Tun herunter. Vorallem die jungen, die jungen Raser die leben in einer Blase in der das Auto wiklich zum Zentrum ihrer Wünsche und ihrer Träume wird, da steht das Auto im absoluten Lebensmittelpunkt. Schnell fahren ist für sie ein wirklich heiß geliebtes Hobby. Ein aufregender Kick, teilweise auch ein Ventil um Aggressionen und Frustrationen abzubauen, aber auch ein Mittel zur Selbstbestätigung. Der Peer-Pressure, also dieser Gruppendruck der Gleichaltrigen und Gleichgesinnten, der ist ein wesentlicher Faktor für Tempoexzesse. Man will dazugehören und seinen Mut beweisen. die Bewunderung für Geschwindigkeitsrekorde ernten, die eigentlich auf Rennstrecken gehören, aber nicht auf die Straße.

Sabine Kaulich: Raffaela, du hast schon gesagt Raser und Raserinnen. Früher war es ja so, dass dieses extensive Schnellfahren ja quasi eine reine Männerdomäne war. Hat sich der Frauenanteil da in den letzten Jahren erhöht oder habe ich da nur das Gefühl?

Raffaela Neustifter: Ja, auf jeden Fall. Gerade in gewissen Milieus sind bereits junge Mädchen, die mit Tempo-Exzess in ihrer Clique Respekt verschaffen wollen. Das sind leichtsinnige Mutproben, unreife Imponiergehabe, das Unbedingte dazugehören wollen, das oft eben in Katastrophen endet.

Christian Kräutler: Du, Raffela, das klingt für mich ja so ein bisschen, als wäre da bei den Mädels eigentlich ganz, ganz ähnliche Motivation dahinter wie bei den Burschen.

Raffaela Neustifter: Ja, genau. Also sie wollen einfach in dieser Riege der Extremraser aufgenommen werden, aber trotzdem muss man dazu sagen: Das bleibt immer noch den jungen Männern vorbehalten.

Sabine Kaulich: Ja und viele junge Fahrzeuglenker und Lenkerinnen, wie wir jetzt gehört haben, suchen den Kick im viel zu schnell fahren. Stichwort Selbstbestätigung. Und dazu fällt mir dann gleich auch der Begriff Selbstüberschätzung ein. Wie ist denn das eigentlich? Ist das auch ein Thema bei älteren Schnellfahrenden?

Raffaela Neustifter: Ja, die Selbstüberschätzung begleitet Schnellfahrende auch ins mittlere Lebensalter. Dazu gibt es diese typische Aussage: „Andere machen Fehler, ich nicht.“ Man geht in seiner Überheblichkeit davon aus, dass die eigene Fahrerfahrung die Lizenz zum Rasen liefert. Die Berechtigung für Tempoüberschreitungen, denn: „ich habe ja eh jede Situation unter Kontrolle. Alles fest im Griff. Ich kenne die Strecke und weiß genau, was sie verträgt.“

Sabine Kaulich: Ja und dann kommen halt noch diese externen Faktoren dazu. Also jene Faktoren, die der Fahrzeuglenker selbst nicht beeinflussen kann, oder?

Raffaela Neustifter: Genau. Zum Beispiel ein Radfahrer, ein Traktor, ein Reh auf der Straße oder andere überraschende Hindernisse, das unvermittelt plötzlich im Weg ist. Und wer damit stark überhöhter Geschwindigkeit unterwegs ist, der hat natürlich keine Sicherheitsreserve mehr. Und so gut wie immer werden die eigenen Fähigkeiten stark überschätzt.

Christian Kräutler: Raffaela, würdest du eigentlich auch sagen, dass das Auto so speziell bei Tempoexzessen ja tatsächlich zu einer Waffe wird?

Raffaela Neustifter: Absolut, Christian. Das Auto wird bei überhöhter Geschwindigkeit zur Waffe. Der Führerschein wird sozusagen zum Waffenschein. Da gibt's einen sehr guten Verkehrssicherheitsspot der Stadt Wien: Ein Mann geht in ein Waffengeschäft und sagt zur Verkäuferin, ich brauche eine Waffe, eine richtig starke, die so richtig Wumms macht. Da öffnet die Verkäuferin den Wandschrank und zeigt auf eine Auswahl mehrerer Autoschlüsseln. Die hier machen so richtig Wumms. Dieser Spot ist ein guter Denkanstoß. Er macht deutlich: Geschwindigkeit tötet. Das Auto wird zur Waffe, wenn der Mensch das Fahrzeug nicht unter Kontrolle hat.

Christian Kräutler: Das bedeutet aber eigentlich auch, der Mensch entscheidet entweder bewusst oder unbewusst auch über Leben und Tod auf der Straße.

Raffaela Neustifter: Ganz genau so ist es. Der Faktor Mensch ist in den meisten Fällen das wirklich entscheidende Kriterium.

Sabine Kaulich: Raffaela, kannst du uns erklären, warum verspüren eigentlich notorische Raser und Raserinnen so wenig Angst vor der Geschwindigkeit? Und warum überwiegt da so dieses Allmachtsgefühl am Steuer?

Raffaela Neustifter: Naja, bei jungen Menschen ist das die biologische Unreife, die einfach noch nicht abgeschlossene Gehirnentwicklung. Der präfrontale Cortex, das ist das Gehirnareal für Emotionskontrolle und Entscheidungsprozesse, der ist erst in den späten Zwanzigern voll entwickelt. Lebenslang spielt aber auch der fehlende menschliche Urinstinkt, Angst vor Geschwindigkeit, eine Rolle. Wir haben die genetische Anlage zur Höhenangst. Aber nicht die Angst vor Geschwindigkeit in uns verankert. Denn der Mensch hat über Jahrtausende seiner Evolution eben nur mit 4 kmh Schrittgeschwindigkeit fortbewegt. Und erst seit ein paar Jahrzehnten bewegt er sich wesentlich schneller vom Fleck. Erst mit der Entwicklung von Automobilen oder ähnlichen Fahrzeugen ist es einfach mehr als diese 4 kmh Schrittgeschwindigkeit. Das heißt, Schnellfahrende fühlen sich sicherer, als es de facto sind. Wir nehmen das gefahrene Tempo kaum körperlich wahr. Das kommt auch noch dazu.

Sabine Kaulich: Ja, da hast du vollkommen recht und da spielt sicher auch der hohe Komfort moderner Fahrzeuge eine große Rolle dabei.

Raffaela Neustifter: Ja klar. Wir sitzen schall- und stoßgedämpft in modernen, komfortablen Fahrzeugkabinen. Da spür ich natürlich keinen Fahrtwind, kaum Erschütterungen, da hör ich kaum Geräusche von draußen. Kein Wunder also, dass meine gefahrene Geschwindigkeit, dass ich die einfach nicht fühlen kann, nicht wahrnehmen kann.

Christian Kräutler: Und vor allem dann natürlich nicht, wenn ich grad im Auto lautstark AC/DC höre zum Beispiel. Sehr cool, aber nicht förderlich fürs Geschwindigkeitsspüren und -,hören. Das Auto ist ja so ein Mittel zur Fortbewegung, oft aber auch ein wesentliches Statussymbol. Viele Menschen definieren sich doch eigentlich immer öfter über ihr Auto.

Raffaela Neustifter: Ja viele Menschen generieren ihr Selbstwertgefühl aus der motorischen Stärke ihres Fahrzeugs. Wie viel PS habe ich denn? Und das kann eben sehr gefährlich werden.

Sabine Kaulich: Raffaela, wir dürfen jetzt nicht alle Schnellfahrenden in einen Topf werfen. Welche verschiedenen Rasertypen kann man denn da eigentlich ausmachen? Kannst du da eine gewisse Typologie für uns ableiten?

Raffaela Neustifter: Ja, da muss man nur eins vorweg sagen. Bei Schnellfahrenden handelt es sich zu 99 Prozent um Verkehrssünden geringeren Ausmaßes. Darf man auch nicht herunterspielen, aber trotzdem nur 1 Prozent sind wirklich echte Extremraser. Und diese eine Raserpersönlichkeit die gibt es nicht. Aber es gibt schon bestimmte Faktoren, die Menschen zu Schnellfahrer oder Schnellfahrerinnen machen. Speeding wird beeinflusst von personenbezogenen, sozialen, situativen, kognitiven und legalen Faktoren.

Sabine Kaulich: Raffaela, könntest du uns das ein bisschen konkreter formulieren? Könntest du uns ein paar Beispiele für diese Schnellfahrer- und Rasertypen geben?

Raffaela Neustifter: Ein paar Beispiele für Schnellfahrer bzw. Rasertypen wären, z.B. die Verkehrsrowdies. Die sind rücksichtslos, verantwortungslos, die machen hohe Tempoüberschreitungen, sind sehr von ihren eigenen Fähigkeiten überzeugt. Oder auch der Gewohnheitsschnellfahrer: seit Jahren manifestiert das Geschwindigkeitsverhalten. Die Einstellung wird sich wahrscheinlich nicht mehr verändern, das betrifft natürlich meistens ältere Personen. Oder auch die unbeabsichtigt zu Schnellfahrenden. Die sind abgelenkt, die sind unachtsam, unkontrolliert unterwegs, achtet dann in dem Moment weder auf Tempolimits noch auf den Tacho. Oder die Schnellfahrenden im gefühlten sozialen Konsens, also die anderen fahren ja auch schneller als erlaubt. Da kann ich ruhig etwas flotter fahren. Sind nur ein paar Beispiele für Rasertypen.

Sabine Kaulich: Sehr spannend. Also Tempoexzesse, das haben ja auch schon die ersten Fälle von Fahrzeugbeschlagnahmungen gezeigt, spielen sich ja nicht nur auf Autobahnen und Freilandstraßen ab, sondern leider auch innerhalb der Städte, innerhalb der Gemeinden. Welche Rolle spielt denn das Straßendesign bei der Wahl der Fahrgeschwindigkeit?

Raffaela Neustifter: Ja Sabine, das Straßendesigns spielt schon eine ganz wesentliche Rolle. Lange, gerade Strecken verführen zum Schnellfahren. Aber auch abgelenkte Personen am Steuer werden da leicht zu Tempoüberschreitern oder Überschreiterinnen. Extremraser suchen sich ja absichtlich solche Strecken. Generell kann man jedenfalls sagen, wirken Straßen sicherer, also subjektiv sicherer, fahren die Menschen auch schneller. Die Gefahren der Straße werden aber oft nicht erkannt. Wir brauchen also ein Straßendesign, das Tempoüberschreitungen entgegenwirkt. Also z.B. Fahrbahnverengungen, Fahrbahnerhöhungen, Mittelinseln usw.. Auch tempodämpfende Bodenmarkierungen, z.B. Querbalkenmarkierungen als sogenannte „Psychobremsen“.

Christian Kräutler: Kommen wir mal noch ganz konkret zum Freilandbereich, wo natürlich generell schneller gefahren wird. Im Freilandbereich sind es ja oft lange Alleen, also Baumalleen, die dann zur Unfallhäufungstrecken werden.

Raffaela Neustifter: Stimmt, da steht dann eben mal in einer zu schnell gefahrenen Kurve ein Baum im Weg. Diese Baumkollisionen haben wir in einer eigenen KFV-Studie untersucht. Auch bei dieser klassischen Unfallart ist der Schlüsselfaktor die Geschwindigkeit.

Christian Kräutler: Da fällt mir gerade ein Liedtext dazu ein, vielleicht könnt ihr euch auch noch erinnern an das Liedl. Gestern hat mich das Glück verlassen, du liegst im Autofriedhof draußen, dabei war's doch immer alles für mich. Könnt ihr euch erinnern an das?

Raffaela Neustifter: Ja, der Fendrich, der beschreibt das schon sehr gut. Vor allem diese zeitlose Thematik, das Auto als große Liebe, sozusagen als Partnerersatz, als Ein und Alles.

Sabine Kaulich: Bleiben wir gleich beim Stichwort große Liebe. Es gibt immer wieder Interviews mit Rasern und Raserninnen und die zeigen ganz klar, welchen Stellenwert das Auto für diese Zielgruppe hat. Also das Auto ist das Heiligtum. Und wenn dann das Auto weg ist, dann hat einfach das ganze Leben keinen Sinn mehr.

Raffaela Neustifter: Ja, also in gewisser Weise wird der Wert des Autos tatsächlich über den Wert des Lebens gestellt. Das eigene Leben, also sogar das eigene Leben und das Leben der Mitmenschen. Diese Sicht der Dinge ist völlig irrational. Die leidenschaftliche Beziehung zum Auto ist definitiv nicht mehr gesund, sondern im Straßenverkehr hochgefährlich. Dazu gibt es in der psychologischen Betrachtung eine Klaviertastenanalogie. Wenn ich die mal kurz beschreiben darf: Also jeder von uns hat quasi eine Klaviertastatur aus mehreren Ressourcen, das sind die einzelnen Tasten zur Verfügung. Familie, Freunde, ein Hobby, ein Haustier. Diese Analogie verwendet man bei Drogensüchtigen. Und da kann man sagen, dass bei Drogensüchtigen fast alle dieser Tasten wegfallen. Irgendwann gibt es keine Familie mehr, die zu einem steht, keine Freunde mehr. Es gibt noch eine Taste und das ist die Droge. Und bei den Rasern gibt es auch nur eine Taste und das ist das Auto. Und wenn das Auto weg ist, dann bricht die Welt zusammen.

Christian Kräutler: Also bei denen besteht eigentlich ein Klavier aus der einen Taste, also so eine Art Suchtverhalten, oder wie man es auch aus Spielen dann kennt, Need for Speed, oder?

Raffaela Neustifter: Ja, ganz genau.

Sabine Kaulich: Raffaela macht eigentlich der Geschwindigkeitsrausch süchtig?

Raffaela Neustifter: Ja, in gewisser Weise schon. Wobei man darf das nicht verwechseln mit einem biologischen Zusammenhang. Also der Adrenalinanstieg, der ist oft nicht nachweisbar. Vor allem bei jungen Menschen, besonders bei jungen Männern ist aber was das nennt sich „Sensation Seeking“, ein verbreitetes Phänomen und auch ein Problem. Viele junge Männer zwischen 16 und 25 sehen sich als nicht leichtsinnig, sondern als mutig. Sie unterschätzen die Gefahren des Schnellfahrens, holen sich beim Rasen Bestätigung, die sie in anderen Lebensbereichen einfach nicht bekommen. Geringe soziale Kompetenz, mangelnde Impulskontrolle, Aggressivität gepaart mit Gleichgültigkeit. Das sind so die typischen Verhaltensmuster.

Christian Kräutler: Also Rasen ist oft so ein Ego-Trip, oder? Eine Form von Egoismus. Ich seh da nur meine eigenen Bedürfnisse, wenn ich immer Raser bin. Mein Wunsch nach Freiheit, nach Selbstbestätigung steht so im Mittelpunkt. Und die anderen Menschen rundherum, die sind mir quasi völlig wurscht.

Raffaela Neustifter: Ja genau, das geht schon ganz leicht in die Richtung soziopathischen Verhaltens. Sie blicken nicht über den eigenen Tellerrand, nicht über den Rand ihres Lenkrads. Sie erkennen nicht, dass ihr egozentrisches Fahrverhalten andere Menschen gefährdet. Da herrscht absolutes Unverständnis. Es dominiert eher so das Triumphgefühl der vermeintlichen Unverletzbarkeit. Hurra, wir leben noch! Wir haben schon 20 Straßenrennen überlebt, also machen wir weiter so. Außerdem geraten sie schnell in Rage. Wenn Raser von einem anderen Fahrer mit einem hochmotorisierten Auto überholt werden, dann ist die spontane Reaktion der Raser ein Kräftemessen. Der Druck aufs Gaspedal. Na warte, du bist sicher nicht schneller, du bist sicher nicht besser als ich.

Sabine Kaulich: Also Raser sehen ihr Tun als Spiel, als Kräftemessen. Ist dieser Zielgruppe eigentlich ganz klar, wie gefährlich ihr Verhalten ist? Für hat es ja oft den Anschein, als wären sie Meister der Verdrängung.

Raffaela Neustifter: Ja, aber sie haben auch meistens wirklich keine Ahnung von Fahrphysik. Die können die möglichen Folgen ihres Tuns nicht abschätzen. Tatsache ist, Rasen kostet Menschenleben. Die Tatsache wird von Schnellfahrerinnen und Schnellfahrer völlig ausgeblendet und völlig ignoriert.

Sabine Kaulich: Also die Verantwortung für die Mitmenschen zu tragen, das ist ein Lernprozess und auch ein Zeichen von Intelligenz und sozialer Kompetenz, oder?

Raffaela Neustifter: Ganz genau. Ein drastisches Beispiel für einen Verkehrsrowdy am Berliner Kurfürstendamm: Raser, zehn rote Ampeln überfahren, auf der elften Kreuzung kollidiert er bei Rot mit dem Querverkehr. Lenker des querenden Fahrzeugs kommt ums Leben. Unfallverursacher wird wegen Mordes verurteilt. Dreizehn Jahre Freiheitsentzug.

Christian Kräutler: Ja so auf den ersten Blick ist das schon ein recht hartes Urteil. Aber wenn man so zwei Mal hinschaut, also auf den zweiten Blick stellt sich schon die Frage Was sind denn diese dreizehn Jahre verlorene Lebenszeit sicherlich, gegen ein ganzes verlorenes Menschenleben.

Raffaela Neustifter: Ja, und genau diese Sichtweise muss Rasern und Rowdies klar werden. Was richte ich mit meinem verantwortungslosen Fahrverhalten denn überhaupt an? Ich nehme anderen Menschen das Wertvollste, was sie besitzen, ihr Leben, und zerstöre damit auch mein eigenes.

Sabine Kaulich: Wie kann man nun Rasern und Raserinnen unter Kontrolle bringen oder zur Einsicht bringen? Welche Präventionsmaßnahmen gibt es denn da eigentlich?

Raffaela Neustifter: Präventionsmaßnahmen sind zum Beispiel tempodämpfendes Straßendesign, verstärkte polizeiliche Kontrollen, verschärfte Sanktionen und intensive Bewusstseinsbildung und zwar bereits in Schulen. Themenbezogene Verkehrspädagogik mit der Zielgruppe junger Menschen. Die neuen Generationen am Steuer müssen ein Gefahrenbewusstsein entwickeln und Verantwortungsgefühl für andere Menschen im Straßenverkehr. Konkrete Fallbeispiele junger Täter und Täterinnen am Steuer können da besonders zum Nachdenken anregen. Die Straße ist live, real, kein Computerspiel. Das muss auch verantwortungsvolle Autowerbung der Gegenwart und Zukunft widerspiegeln. Es kann nicht sein, dass eine renommierte deutsche Automarke im dritten Jahrtausend in einem Werbespot suggeriert, die Straße gehört dir über Fahrer-Sperrlinien, Kreuzungen, Limits jeder Art, du bist am Steuer dieses Boliden der uneingeschränkte King of the Road.

Christian Kräutler: Also dieser echt krasse Werbespot. Da bleibt ihm tatsächlich die Spucke weg. Was haben Sie denn eigentlich so die kreativen Köpfe und die Verantwortlichen der Firma hinter diesem Werbespot gedacht?

Raffaela Neustifter: Ja, das fragt man sich offensichtlich nicht sehr viel. Das Thema Sicherheit war Ihnen wohl zu fad oder zu fremd. Tatsache ist, Mobilität braucht Sicherheit. Die wichtigste aller Botschaften muss also sein, unser wertvollster Besitz ist unser Leben, nicht unser Auto. Nichts ist zu kostbar, einzigartig und unwiederbringlich, wie ein Menschenleben.

Sabine Kaulich: Liebe Raffaela, vielen Dank für diese vielen wichtigen Botschaften, die du uns heute mitgebracht hast und für die spannende Einblicke in die Psychologie des Rasens.

Raffaela Neustifter: Gerne. Auch ich sage Dankeschön dafür, dass ich dieses überlebenswichtige Thema bei dem heutigen Podcast näher beleuchten durfte. Und ich hoffe, dass auch unser Publikum viel Wissenswertes mitnimmt und auch das vielleicht zu mancher Zuhörer, so manche Zuhörerin das eigene Fahrverhalten kritisch hinterfragt.

Christian Kräutler: Ja, liebes Podcast-Publikum, da waren heute wirklich viele Denkanstöße dabei. Vielen Dank fürs Zuhören, fürs Nachdenken und hoffentlich auch fürs Umdenken. Das nächste Mal geht es bei uns um das Thema Einbruchsschutz. Es kommt die dunkle Jahreszeit, da kommt es leider jedes Jahr vermehrt zu Einbrüchen bei Dämmerung und bei Dunkelheit. Wie man sich gezielt vor ungebetenen Gästen schützen kann. Hören Sie in unserer nächsten Podcastfolge im Oktober. Bleiben Sie gesund und wohlbehalten. Bleiben Sie interessiert und informiert und nicht vergessen. Das Leben ist kostbar. Also, runter vom Gas.

Sabine Kaulich: Danke fürs Dabeibleiben, Bis bald bei Sicher ist sicher!

Catharina Ballan: Sie hörten Sabine Kaulich: und Christian Kräutler, zwei erfahrene Präventionsfachleute des Kuratoriums für Verkehrssicherheit. Zu Gast im Podcast-Studio war heute Mag.a Raffaela Neustifter, Psychologin im KFV-Fachbereich Verkehrssicherheit. Mehr Infos zum Thema dieser KFV-Podcast-Episode und zu vielen weiteren wichtigen Sicherheitsthemen finden Sie auf unserer Website kfv.at. Alle KFV-Podcast-Folgen sind unter kfv.at/podcast abrufbar. Abonnieren Sie „Sicher ist sicher“ auf Spotify, Apple und Google Podcasts sowie auf allen gängigen Podcatcher Plattformen und empfehlen Sie unseren Podcast weiter. Danke fürs Zuhören und bis zum nächsten Mal bei „Sicher ist sicher“, dem Vordenker*innen-Podcast des KFV.

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